ROLLER-REISE
ESSEN SUCHEN IM WIENERWALD, TEIL IIText: Redaktion Fotos: Michael Filippovits, Motomobil DAS KÖRBERL BITTEDas Einkaufen bei Kleinbetrieben im Umkreis von höchstens ein paar Kilometern funktioniert – und das sogar ganz hervorragend![]() Im Wienerwald wachsen keine Eierschwammerl, beziehungsweise nur in homöopathischen Größenordnungen. Wider besseres Wissen und mit knurrendem Magen habe ich im Supermarkt (genauer Name und Standort sind der Redaktion bekannt) ein Plastiksackerl mit Pilzen aus dem ferneren Osteuropa befüllt, mit zum Teil schon braunen und näßenden Rändern an den Schirmen, zum Wegschneiden halt. Solche Ware muss man sofort verarbeiten, am nächsten Tag geht das nicht einmal mehr für den Sautrank. Bis zum Juli 2015 war der Herr Albert Neugeborn in Steinriegl die Rettung für alle Waldfrüchteliebhaber zwischen Sievering, Kritzendorf und dem Tullnerfeld: mit erntefrischen Eierschwammerln, Steinpilzen oder Heidelbeeren aus Österreich, direkt von einer Sammelstelle in der Steiermark. Und das zu christlichen Preisen, die mit dem Supermarktangebot mithalten konnten. Nur, der Herr Neugeborn sitzt jetzt nicht mehr an seinem Verkaufspult vor seinem Original Weizer Stöckl aus dem Jahr 1924 in der Weidlingbachstraße 15, sondern er hat sich zur Ruhe gesetzt. Besser gesagt, in den Teilzeit-Ruhestand – Herr Neugeborn steht nämlich meistens schon um halbdrei in der Früh auf: Er ist Lebensmittelkaufmann, Landwirt, Produzent und Marktfierant in Personalunion, Hansdampf in allen Gassen, und befährt als solcher noch immer einige niederösterreichische Tagesmärkte wie zum Beispiel in Baden, Gumpoldskirchen oder Krems. Was bis Mittag nicht weg war, hat er dann im Ab-Hof-Verkauf angeboten. Die Landwirtschaft der Neugeborns samt Pferdehaltung und Teichwirtschaft mit Karpfenzucht wie vor 20 Jahren ist vorbei, aber es gibt noch Hendln und wohlgenährte Graugänse. „Schauen Sie“, meint er, „gerade hat mir der Fuchs zwölf von meinen Hühnern genommen. Aber wir leben in der Natur, es ist manchmal hart.“ Wir danken dem Herrn Neugeborn für die vielen Jahre der besten Versorgung mit Waldfrüchten und senden ihm eine Petition, dass er im nächsten Jahr vielleicht doch wieder weitermacht! Überhaupt ist bei näherer Betrachtung die Dichte an Nahversorgern und Produzenten direkt vor der Wiener Haustüre ganz unglaublich und straft alle Behauptungen Lügen, dass es hier nur Schlafstädte und Pendlerghettos gibt. Allein auf den nächsten paar Kilometern gibt es drei weitere Adressen, die das Einkaufen im Supermarkt überflüssig machen. In Kierling zum Beispiel hat Siegfried Gasser erst im Jahr 2013 – mitten im Kreuzfeuer von zwei Handelsketten und einem mächtigen Diskonter – „Siegi’s guade Jaus’n“ neu gebaut und eröffnet: eine auf den ersten Blick klassische Greißlerei, mit saisonalem Frischgemüse und Obst. Wobei viele Leckerbissen aus der benachbarten elterlichen Landwirtschaft stammen, wo Rinder, Schweine, Hühner, Enten und Hasen herumlaufen. Da ist es kein Wunder, dass es neben selbstgemachtem Speck regelmäßig gute Bauernbutter gibt. Außerdem hervorragende Mehlspeisen, besonders die Kardinalschnitten sind sensationell. Eingelegtes, Verdünnungssäfte und Marmeladen sind von ausgesuchten Produzent von hier bis zum Wagram. Ein frischer Tagesteller, also Fleischlaberl, Knödel, Gulasch und derlei Bodenständiges, kann im Schanigarten verzehrt oder zum Mitnehmen verpackt werden. Die Kundschaft gibt sich die Türschnalle zur „Siegi’s guad’n Jaus’n“ in die Hand. Der Großteil kommt zu Fuß, es gibt fast immer einen Parkplatz direkt vor der Tür.
Die Hintersdorfer Gilera-Bande, bestehend aus dem „motomobil“-Art-Director, dem Fotograf und dem langjährigen Herausgeber, ist jedoch notorisch hungrig und besteigt – mangels modernerer sowie zufriedenstellender öffentlicher Fortbewegungsmöglichkeiten in diesem gebirgigen Gebiet – die veteranösen Sportroller, die mit kleiner Börse, aber viel Liebe und Gewusst-wie in Schwung gehalten werden. Zwischen Klosterneuburg und Dopplerhütte ist Disco-Besuch in Hintersdorf angesagt. Also, zumindest das historische DJ-Mischpult steht noch im Gasthaus Strasshofer, und es gibt nach wie vor Evergreen-Abende oder tatsächliche Live-Events wie am 26. September mit Country-Queen Keana Rose. Das Lokal ist nämlich alles andere als ein Start-up wie die Greißlerei in Kierling, sondern seit 1926 alteingesessen und im Familienbesitz. Ans für die Backhendln, Schnitzeln und Ripperln gerühmte Gasthaus ist ein blitzsauberer Lebensmittelladen samt Trafik angeschlossen, der täglich von sechs bis 22 Uhr geöffnet hat. Auch am Samstag und Sonntag, nur am Donnerstagnachmittag hat die Frau Christine Strasshofer frei. Von frischem Gebäck bis zum Kreuzworträtselheft gibt es so gut wie fast alles, fast rund um die Uhr. Appetitlich präsentiert und in bester Qualität. Sogar Hauszustellung wird noch immer angeboten. Damit hält „die Christl“ eine uralte Tradition hoch: Entstanden aus einer Milchtrinkhalle der vorvorigen Jahrhundertwende, gründeten die Strasshofers 1926 eine Bäckerei und später das Wirtshaus. Bis 1999 gab es am zweiten Standort ein Kaufhaus mit Textilien, Eisenwaren und Bauzubehör. Unter den Eingeborenen ist der wilde Disco-Betrieb der 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahre noch immer als „bei der Adele“ geläufig, damit ist Frau Strasshofer senior gemeint. Die verschiedensten Gruppierungen aus Klosterneuburg und von noch weiter am Land trafen sich hier, schwangen das Tanzbein oder tauschten ihre Meinungen aus. Richtung Steinriegl, wo Herr Neugeborn gerade das Verkaufstischerl abgebaut hat und seine wohlverdiente Freizeit genießt, haben die Gileras ein paar Kilometer freien Auslauf. Im Hofladen der Landwirtschaft von Monika und Franz Wieshaider ist es nicht minder urig als in Hintersdorf – und das in nicht einmal 13 Kilometern Luftlinien-Entfernung vom Wiener Stephansdom. Es gibt ein begehrtes „Fleischkundenbüchl“, in das sich Interessenten eintragen lassen, um vor den monatlichen Schlachttagen kontaktiert zu werden. Verkauft wird Jungrindfleisch vom Wienerwald-Weiderind, je nach Saison auch Wildschwein und Reh. Außerdem selbstproduzierte Wurst und Geselchtes, frisches und eingelegtes Gemüse, Säfte, Edelbrände, frische Eier. Zweimal jährlich finden die „Tage des Mosts“ statt, mit Ausschank und Bewirtung. Ist dabei das Wetter schlecht, erlebt man in der Wirtsstube authentische Resopalromantik – der Hof der Wieshaiders war bis Mitte der 1970er auch ein Ausflugswirtshaus, das aus einer Meierei der 1920er-Jahre entstand. Franz Wieshaider ist nicht nur Erzeuger von Lebensmitteln und Genussprodukten, sondern auch – ausgehend vom Dorferneuerungsverein Kirchbach – eine kulturelle Säule im Wienerwald: Im Schauspielverein „Die Zaummgfaungtn“ übernimmt er tragende Rollen und stellt auch seine landwirtschaftlichen Hallen für die Erfolgsproduktionen zur Verfügung. Die mehrfach ausverkaufte Komödie „Das damische Duo“ riss das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, die Löwingerbühne ist dagegen eine Taferlklasse. Fürs Wochenende wollen wir noch ein paar Flaschen schönen Wein ins Körberl legen. „Der Winzer“ Peter Pscheidt in Kritzendorf ist möglicherweise einer der drei besten Weinmacher der Region, mit ziemlicher Sicherheit aber ist er der schillerndste und exzentrischste. Außerdem stammt das weithin bekannte Pscheidt-Logo aus der Hand von „motomobil“-Cheflayouter Kubinecz – der Kultkleber wurde zum inoffiziellen Klosterneuburg-Logo und pickt hier auf fast jedem zweiten Auto. Peter Pscheidt hat den örtlichen Riedenwanderweg erfunden und organisiert. Zu seinen Verdiensten zählt auch, dass man mit Kritzendorf nicht mehr ausschließlich die dunkle Ära der Ribiselweine in Verbindung bringt. Im Verkostungsraum stellen regelmäßig junge Künstler ihre Werke aus. Weil eine Verkostung beim Pscheidt aber auch zu einer langwierigen Angelegenheit werden kann, mit anschließender Heimreise per Taxi, legen wir Vinzecco und Weißgipfler schnell ins Körberl, überlassen den Winzer seinem weiteren anspruchsvollen Tagwerk und werfen die Roller an. Die wilde Jagd nach Essbarem geht hinauf ins entrische Hadersfeld. Hoch über der Donau hat Karin Krenn im Jänner 2014 „Gaumenfreuden“ gegründet, eine Manufaktur von Leckerbissen, die ins Glas passen. Aufpassen müssen die zahlreichen Besucher, die in die nur samstags von neun bis 15 Uhr geöffnete Verkaufsstube pilgern: Man kauft immer mindestens doppelt so viel ein, als man sich vorgenommen hat, so herrlich schmecken die Gaumenfreuden. Wie der Zufall so spielt: Begonnen hat alles mit einer privaten Adventhütte, in der die Volksschullehrerin selbstgemachten Punsch, Glühwein und Eingelegtes anbot und dafür so viel Zuspruch und Lob erntete, dass sie bald die Lebensmittelproduktion auf eine ordentliche Basis stellen wollte. Je nach Saison und dem, was im Wald und auf der Wiese wächst, gibt es feine Ware, die nicht gerade alltäglich ist: Relishes, Chutneys, Pasten, Pestos und Dips, Soßen, Essige, Eingelegtes, Fruchtaufstriche … Wer einmal das Löwenzahngelee, die Zitronenmarmelade oder das Zwiebel-Ribisel-Relish probiert hat, der kommt wieder nach Hadersfeld und könnte mehr als nur ein Körberl brauchen. Das Konzept der Nähe funktioniert im Wienerwald. Vazierende Kesselflicker, Besenbinder und Lavendelverkäufer gibt es längst nicht mehr, aber wir haben immerhin noch einen regelmäßigen Messer- und Scherenschleifer: Zweimal im Jahr kommt der Herr Duda auf den Gasthaus-Parkplatz der Christine Strasshofer, wirft das Stromaggregat in seinem Kombi an und gibt stumpfem Hausrat die Schärfe zurück. Teil III von „Essen suchen im Wienerwald“ folgt in einer der nächsten „motomobil“-Ausgaben. ![]() DIE EMPFEHLENSWERTEN WIENERWALD-NAHVERSORGER UND PRODUZENTEN Bauernhof Franz und Monika Wieshaider, 3413 Steinrieglalm 1, Tel.: 0664/486 73 87 oder Tel.: 0664/198 28 24; www.staw.at Lebensmittel Siegfried Gasser („Siegi’s guade Jaus’n“), Hauptstraße 119, 3400 Kierling, Tel.: 0650/271 79 44; www.siegis-guade-jausn.at Lebensmittel/Gasthaus Christine Strasshofer; Hauptstraße 85, 3413 Hintersdorf, Tel.: 02242/690 91; www.gasthaus-strasshofer.at Nur mehr auf Wochenmärkten: Waldfrüchte/landwirtschaftliche Produkte Albert Neugebauer, Weidlingbachstraße 15, 3413 Steinriegl, Tel.: 0664/303 23 02 „Gaumenfreuden“ Karin Krenn, Hauptstraße 79, 3422 Hadersfeld, samstags von 09.00 bis 15.00 Uhr, Tel.: 0650/798 25 05; www.karinkrenn.at Weinmacher Peter Pscheidt („der Winzer“), Hadersfelder Straße 3, 3420 Kritzendorf, Tel.: 02243/254 18 und Tel.: 0664/341 06 35; www.derwinzer.at Messerschleifdienst Heinrich Duda, zirka halbjährlich am Parkplatz Gasthaus Strasshofer, Hauptstraße 85, 3413 Hintersdorf, Tel.: 0676/701 90 13; http://members.chello.at/heinrich-duda DIE WIENERWALD-PRODUZENTEN AUS „ESSEN SUCHEN“, TEIL I (erschienen in „motomobil“-Folge 002, nachzulesen auf ![]() Kürbishof Franzlbauer, www.franzlbauer.at.tt Hintersdorfer Edelbrände, www.pfennigbauer.com Freilandeier Hainbuch, Hainbuch 2, 3001 Mauerbach Blunz’nkaiser Gutscher, www.blunznkaiser.at Himbeerkulinarik Patzak, Tulbingerstr. 52, 3430 Chorherrn, Tel.: 0676/330 19 04 Hausgemachtes vom Bonka, www.bonka.at ![]() Mit Kostproben aus dem Buch wurde bei Norbert Payr, dem Patron des „Gasthofs zum lustigen Bauern“, im Frühjahr 2015 eine lesenswerte Fibel für unabhängige und nachhaltige Haushaltsführung vorgestellt. Die Autorin Judith Anger ist gelernte Köchin und Permakultur-Praktikern, im Buch gibt es viel Wissenswertes über Selbstversorgung, Einkauf und Vorratshaltung; die 100 Rezepte sind nach den jahreszeitlichen Erntemöglichkeiten zusammengestellt. Aus dem Kneipp Verlag Wien, 17,99 Euro; http://kneippverlag.com |