ROLLER-TEST
WIR FAHREN DEN HONDA X-ADVText: Peter Schönlaub Fotos: Zep Gori, Francesc Montero, Ula Serra DAS ABENTEUER KOMMT INS ROLLENDie Fortführung der Crossover-Idee führt diesmal über Stock und Stein: Erste Ausfahrt mit dem ersten Adventure-Scooter der Welt![]() Eine witzige Designstudie, aber völlig unrealistisch – das war wohl die Einschätzung der meisten Besucher der Mailänder Zweiradmesse des Jahres 2015, die am Honda-Stand einen auffälligen Adventure-Scooter betrachtet haben. Sein Name: City Adventure, aber schon bald umbenannt in X-ADV. Heute, kaum eineinhalb Jahre später, rollt die serienreife Version des X-ADV zu den Honda-Händlern und wir hatten die Möglichkeit, das ungewöhnliche Konzept vorab unter allen Bedingungen zu testen, für die er gemacht zu sein scheint: die Stadt, das kurvenreiche Land und sogar unwegsames Gelände. Bevor wir in den Sattel klettern – der nicht nur für Scooter-Verhältnisse mit 820 Millimeter ungewöhnlich hoch liegt –, noch ein kurzes Screening, womit wir es hier zu tun haben. Wie man unschwer errät, baut der X-ADV auf dem im Jahr 2012 eingeführten Honda Integra auf. Der zweiventilige SOHC-Zweizylinder-Reihenmotor mit 745 Kubikzentimeter, 40,4 kW (55 PS) Leistung und 68 Newtonmeter Drehmoment wurde ohne Abstriche übernommen, das daran gekoppelte DCT-Doppelkupplungsgetriebe allerdings leicht überarbeitet. Die Übersetzungen fielen kürzer aus, zudem wurde die Schaltstrategie leicht überarbeitet: Im normalen D-Modus werden die Gänge nun um 500 Umdrehungen weiter ausgedreht, bevor in den nächsthöheren Gang geschaltet wird. Damit ergibt sich ein harmonischeres, schlüssigeres Fahrgefühl als bisher, wo man sich oft im sehr niedrigen Drehzahlbereich knapp an der Stottergrenze wiedergefunden hat. Einen markanten Unterschied im Look macht auch das 15-Zoll-Hinterrad (Integra: 17 Zoll), das unter anderem eine Vergrößerung des Staufachs unter dem Sitz erlaubt. Es fasst nun 21 Liter, üppig bemessen für einen großen Integralhelm, selbst mit adventurehaftem Schild. Eine 12-Volt-Steckdose und ein LED-Lichtlein wurden hier ebenfalls untergebracht. Die neuen Radgrößen werden von Drahtspeichenfelgen bestritten, die mit semi-offroadtauglichen Bridgestone Trail Wing bezogen sind. Eine gute Wahl, die für reichlich Grip auf Asphalt und einigermaßen würdevolle Perfomance auf Sand und Schotter sorgt. Der bei den Rädern und Reifen begonnene Abenteuergeist zieht sich noch weiter. Dafür zitiert Honda in einigen Bereichen seine im vergangenen Jahr zurückgekehrte Ikone, die Africa Twin: Der konifizierte Alu-Lenker entspricht in Form und Ausführung der Großenduro, wurde nur einen Hauch schmäler geschnitten (ist aber für Rollerverhältnisse immer noch X-Large). Auch die serienmäßigen Handprotektoren wurden jenen der Big Enduro nachempfunden, genauso wie zwei der vier Lackierungen: die rote und weiße Version mit den auffälligen Stripes sind in dieser Art auch für die Africa Twin zu haben. Noch eine Parallele gibt’s: Die Bremsanlage am Vorderrad wurde in Bausch und Bogen übernommen und zeigt sich damit deutlich hochwertiger als jene auf dem Integra, der mit nur einer Bremsscheibe sein Auslangen finden muss. Stichwort Hochwertigkeit: Bei diesem Thema wollte Honda offenbar keine Kompromisse eingehen, wohl auch, um gegen die erstarkte Konkurrenz von Yamaha nicht unter Druck zu geraten. Neben der sehr aufwändigen Ausführung der Karosserie, dem tadellosen Finish und der hohen Lackqualität kommt der X-ADV auch mit einer ausschließlich aus LED bestehenden Lichtanlage sowie dem Smart Key, den es bislang nur für den Honda SH300i gab und der seit heuer auch am 2017er SH125i integriert ist. In einem Punkt ist der X-ADV sogar der Africa Twin überlegen: Er bietet ein verstellbares Windschild. Die in fünf Positionen arretierbare Scheibe wird vermittels eines neuen Mechanismus’ bedient, den sich Honda sogar patentieren ließ. Zwischen unterster und oberster Position liegen 136 Millimeter und elf Grad Neigung. Gut zum Abenteuerspirit passt letztlich auch das neue LCD-Display, das bewusst etwas derber auftritt, um damit die Instrumente der Rallyemaschinen (Dakar!) zu imitieren. Der Informationsgehalt ist hoch und reicht bis zur Umgebungstemperatur; die Ablesbarkeit ist auch bei voller Sonneneinstrahlung sehr gut. Einige wesentliche Warnleuchten – die Leerlaufanzeige oder die eingelegte Parkbremse – werden in einem zweiten Mini-Display direkt zwischen den Lenkerklemmen angezeigt. Mancher wird sich trotz der vielen Unterschiede zum Integra die Frage stellen: Fährt sich der Honda X-ADV deutlich anders? Die klare Antwort lautet: Ja und nein. Zum einen ist das Fahrgefühl verwandt, da ja Motor und Getriebe kaum verändert wurden. Zum anderen ermöglicht die veränderte Sitzposition, der breite Lenker und vor allem das hochwertiger bestückte Fahrwerk einen forcierten, sportlichen Fahrstil. Doch der X-ADV tritt dabei nicht aggressiver oder gar härter auf. Aufgrund der längeren Federwege rollt er sogar komfortabler ab, es gibt also Fortschritte in beide Richtungen. Bemerkenswert dabei ist, dass die zur Schau gestellte Offroad-Affinität auf der Straße überhaupt keine Nachteile zeitigt. Weder durch die gröber geschnittenen Reifen, noch durch die sportlich-breite Lenkerhaltung. Im Gegenteil: Das Einlenkverhalten ist noch präziser, Wechselkurven durchwieselt man mit leichter Hand. Einmal in Schräglage – die ausgereizt werden kann, bis erst recht spät Schleifnippel am Hauptständer mahnend knirschen – freut man sich über unantastbare Stabilität. Kaum aus der Ruhe zu bringen ist der X-ADV auch beim harten Anbremsen, das man aufgrund fehlenden Aufstellmoments tief in die Kurven ziehen darf. Hier kann sich der X-ADV nicht nur stolz mit „echten“ Motorrädern der 55-PS-Liga messen, sondern wird viele davon deutlich übertreffen, das trauen wir uns schon vorab zu behaupten. Die Performance des Fahrwerks ist sogar so gut, dass man sich rasch mehr Power wünscht – obwohl ein Blick auf das neue Instrument immer wieder zeigt, wie flott man auch mit diesem (heutzutage als überschaubar eingestuftem) Leistungsangebot unterwegs sein kann. Das Beschleunigungsgefühl ist dabei eine Spur besser als beim Integra, basierend auf den kleinen Änderungen am DCT und den erwähnten engeren Getriebeabstufungen. Der X-ADV macht viel Freude im Kurvenland, aber er kann auch als Reisegefährte dienen: Der gute Windschutz – mehr im oberen Bereich, eher weniger bei den Beinen –, der erwähnte Federungskomfort, der breite Sattel und das stressfreie Fahren dank der Automatikfunktion sprechen dafür. Außerdem bietet Honda zwei verschiedene Topcases an, einmal mit 35, einmal mit 45 Liter. Auch nicht unwesentlich auf längeren Strecken: Die Form und Größe der Trittbretter erlauben verschiedene Positionen für die Beine. So kann man für Abwechslung sorgen, während man die Reichweite ausfährt. Der Normverbrauch beträgt 3,7 Liter, da wird der 13,1-Liter-Tank selbst mit einem kleinen Praxis-Aufschlag für rund 300 Kilometer am Stück sorgen. Bleibt letztlich noch die Frage nach der Relevanz des Offroad-Brimboriums. Lassen sich Optik und Ausstattung für Bewegung im Unwegsamen nützen oder bleibt es bei der Show, so wie bei einigen Pkw-SUV? Ein erster kleiner Ausflug über Sand und durch eine erdige Waldpassage lassen uns auf Ersteres deuten: Die langen Federwege, die Reifen und der gute Hebel am breiten Lenker machen Offroad-Etappen durchaus möglich. Sollten solche Ausflüge öfter am Speiseplan stehen, dann ist es freilich hilfreich, wenn man die ausklappbaren Zusatz-Fußraster von Rizoma aus dem Original-Zubehör ankreuzt. Damit kann man tatsächlich auch halbwegs ordentlich im Stand fahren und einige wildere Hindernisse überwinden. Mehr als 160 Millimeter Bodenfreiheit sowie ein Alu-Motorschutz sind dabei ebenfalls gern genommene Zutaten, wobei unterm Strich klar ist: Niemand wird mit dem X-ADV auf die Motocross-Strecke fahren oder sich für die Romaniacs einschreiben – aber für Schotterstraßen auf die Alm oder die letzten sandigen Kurven hinunter in die menschenleere Meeresbucht reicht das Potenzial allemal. Unser erstes Resümee: Der X-ADV ist mehr als bloß eine angenehme Lösung für chronisch Entscheidungsschwache, die nicht zwischen Segmenten wählen wollen – er ist eine Erweiterung der Rollerwelt um eine neue Dimension, die Spaß macht, gut aussieht und dabei praktisch bleibt. Wie gut der X-ADV all diese Eigenschaften im Frondienst des Alltags ausspielt, und was wir vielleicht noch alles entdecken, berichten wir im Lauf des „motomobil“-Dauertests, der hier in Kürze startet.
Das 2017er Farbenprogramm des neuen Adventure-Rollers X-ADV |