ROLLER-TEST
HONDA SH300i – DIE DRITTE GENERATIONText: Michael Bernleitner Fotos: Zep Gori, Francesc Montero, Ula Serra DIE LEICHTIGKEIT DES ROLLENSDie neue SHi-Version ist wieder einmal das beste Argument für die Vorzüge der Scooter-Mittelklasse rund um 300 Kubik Hubraum![]() Man darf gerne vermuten, dass ein Relaunch des seit 2007 erfolgreichen Honda SH300i für die Entwickler sicher keine leichte Aufgabe ist. Schafft man es, den technischen Fortschritt so aufzubereiten, dass der Käufer davon mehr als eine homöopathische Dosis wahrnimmt? Egal, ob man ein Fan von Großradrollern ist oder ob einem speziell der SH300i jetzt gefällt oder nicht: Die Ausgangssituation ist einfach die, dass schon das 2007er-Modell ein sehr guter Roller ist. Die beträchtlichen Verkaufszahlen kommen ja nicht von ungefähr. Beschleunigt gut, bremst gut, liegt gut auf der Straße, viel Platz für zwei – und der Großradrollern mit völlig freiem Durchstieg zu eigenen Problematik des kargen Gepäckraums entgegneten die meisten Landesimporteure mit der serienmäßigen Dreingabe einer soliden Topbox. Ein bisserl was geht immer, meint Honda und schafft es alle vier bis fünf Jahre, den SHi auf ein höheres Niveau anzuheben. Nicht so dramatisch, dass die Besitzer des „Altmodells“ sofort in tiefes Unglück gestürzt werden – doch der Neue wirkt immer jünger und frischer. Die 2011er-Variante kam mit pfiffigerem Design, verstärktem Rahmen, Radialreifen und neuen Federkomponenten (das aufpreispflichtige Kombi-ABS gab es schon seit 2007). Die wohl kräftigste Modellpflege erlebt nun der (bereits ab August 2015) zum Einführungspreis von 5490 Euro erhältliche neue 2016er-SH300i. In geraffter Form die wichtigsten Änderungen: ganz neuer Stahlrahmen mit 16 Millimeter längerem Radstand; neues Zweikreis-ABS; weitgehende Umstellung auf LED-Lichttechnik; Smart-Key-System; in den jetzt wie durch ein Wunder 19 Liter großen Sitzbankstauraum passt sogar ein ausgewachsener Integralhelm. Die typische SH-Linienführung wird beibehalten, aber weiter modernisiert – besonders wenn man die Modelle nebeneinander stellt, sieht man sofort, dass von fad keine Rede mehr sein kann: dynamischere und muskulösere Linienführung mit größeren farbigen Anteilen, neue Felgen, schöne Oberflächen, sogar 3D-eingebettete Modellschriftzüge gibt es an den Seiten. Der Qualitätseindruck ist wie in der Honda-Oberklasse üblich sehr hochwertig. Mit 169 Kilo vollgetankt hat der neue SHi um ein Kilo abgenommen. In den ersten Honda-Informationen aus dem Frühjahr hat man uns gestiegene Fahrleistungen bei verringertem Spritkonsum in Aussicht gestellt. Das jetzt vorliegende Datenblatt verwundert auf den schnellen Blick – ist die Motornennleistung mit 18,5 kW (25,2 PS) doch unter den bisher gewohnten 20 kW (27,2 PS). Des Rätsels Lösung liegt im Drehzahlniveau: Sowohl Höchstleistung als auch maximales Drehmoment sind beim überarbeiteten SHi-Motor um genau 1000 Umdrehungen niedriger. Der Performance-Zuwachs sollte also vor allem beim Anfahren und beim Ansprechen bei mittleren Drehzahlen kommen. ![]() Links 2011, rechts 2016. Das Design der SH-Serie wird mit jeder Modellpflege eleganter, aber auch muskulöser Ganz ehrlich: Der 2016er-SHi geht ab Ampel so druckvoll und freudig wie der 2011er. Im mittleren Tempobereich nimmt der Roller schnell Fahrt auf, und man kann sich bei Spurwechseln problemlos durchsetzen. Über Tachoanzeige 120 geht dem 300er noch längst nicht die Luft aus. Die spürbaren Unterschiede zum Vormodell liegen im metaphysischen Bereich – ähnlich wie die Differenz einer Vespa GTS 300 (278 Kubik, 15,8 kW/21,5 PS) zur GTS 250 (244 Kubik, 15,7 kW/21,4 PS). Da muss man schon das Gras wachsen hören. Die Sache ist jedenfalls weniger bedeutend als der immer merkliche Unterschied zwischen einem 125er- und 150er-Roller desselben Typs. Unterm Strich ist für ein feines Leben am Roller die Motorleistung alleine nicht entscheidend. Aber sie ist doch eine manchmal segensreiche Komponente, mit der man im Handumdrehen ein problematisches Verkehrsgeschehen hinter sich lassen kann. Der SH300i hat genügend Schmalz, um der City-Express schlechthin zu sein, er macht auf der Landstraße eine gute Figur und er ist bestens autobahntauglich. Die Änderungen am überarbeiteten Motor stehen im Interview mit den SHi-Entwicklern Michio Atsuchi und Makoto Fukagawa im Kasten weiter unten. Unter anderem ging es um die Erfüllung der kommenden Euro-4-Emissionsbestimmungen. Daher kommt auch die Senkung der offiziellen Angabe der Höchstgeschwindigkeit von 131 auf 128 km/h (durch die Senkung auf unter 130 Stundenkilometer kommt man in günstigere Rahmenbedingungen). Duckt man sich ein bisschen und weht günstiger Wind, sind jedenfalls auch echte 140 problemlos zu erreichen. Durch Verringerung der internen Motorreibung ergibt sich kleinerer Treibstoffkonsum: Nach dem WMTC-Messzyklus sollen es genau drei Liter pro hundert Kilometer sein. Als Praxiswert haben wir bei der „motomobil“-Testfahrt 3,5 Liter für flotte Stadt- und Bundesstraßenfahrt festgestellt, bei Autobahn-Dauervollgas genehmigt sich der SHi vier Liter, was auch den jeweiligen Angaben des Bordcomputers im Cockpit entspricht. Das ist in Zeiten, wo immer noch die meisten 125er-Roller mehr als drei Liter verbrauchen, ein guter Wert. Am Fahrwerk und an den Bremsen findet man keine Kritikpunkte, ganz im Gegenteil: Die Stabilität des SHi-Rahmens mit seiner schwimmend gelagerten Hinterradschwinge ist immer schon bekannt, außerdem ergibt sich durch die 16-Zoll-Radgröße und die Qualität der hinteren Stereofederbeine ein rollerunüblich hohes Maß an Komfort. Trotzdem die ungefederten Massen der 300er-Triebsatzschwinge beträchtlich sind, bekommt man bei Unebenheiten keine solchen Schläge ins Kreuz, wie man es bei vielen Rollern ganz einfach hinnehmen muss. Der Honda SH300i könnte in dieser Hinsicht möglicherweise sogar der komfortabelste Roller überhaupt sein. Die technischen und gewichtsmäßigen Fortschritte in der Bauweise des Zweikreis-ABS von Nissin nimmt Honda zum Anlass, auf das aufwändigere und teurere Combined Brake System zu verzichten. Die Bremsanlage des neuen Modells ist perfekt dosierbar, hat klaren Druckpunkt an den Handhebeln und sie ist enorm wirkungsvoll, ohne giftig zu sein – da bleiben keine Wünsche offen. Die minimale Verlängerung des Radstands und die kleine Vergrößerung der Sitzhöhe von 785 auf 805 Millimeter dienen vor allem dem Ziel, Platz für ordentlichen Gepäckraum zu schaffen. Unter der großen Sitzbank ist ja (im Gegensatz zu einem Großradroller mit Mitteltunnel wie zum Beispiel dem Piaggio Beverly) auch noch der Neun-Liter-Tank des SHi. Die Unterbringung eines Integralhelms ist gelungen – und zwar nicht mit Ach und Weh, Trickserei und Sitzbankzudrücken, sondern mit hohem Bedienkomfort: Auch bei einem „erweiterten“ Helm mit Lufteinlässen oder kleinem Spoiler ist ringsum noch Raum für Werkzeugtasche, Fahrerhandbuch und 12-Volt-Steckdose. Bei der Sitzbankpolsterung musste nichts eingespart werden, der Sattel ist so bequem wie man es sich wünscht. Für ein angenehmes Rollerleben will auch der Smart Key sorgen, einen herkömmlichen Zündschlüssel kennt der neue Honda SH300i nicht mehr. Das Lenkschloss muss man nach wie vor manuell über den Drehschalter (der das ehemalige „Zündschloss“ ersetzt) aktivieren, aber der Smart Key kann in der Hosentasche oder im Geldbörsel eingesteckt bleiben: Entfernt man sich weiter als zwei Meter vom Roller, wird das Drehschloss gesperrt und somit eine unbefugte Inbetriebnahme verhindert. Das Umgekehrte passiert, sobald sich der Besitzer dem SHi nähert. Dass sich Honda auch um kleine, fast nebensächliche Details sehr sorgt, zeigen zum Beispiel die Haken für Gummispanner am Gepäckträger, der gleichzeitig die Trägerplatte für das in Österreich serienmäßige 35-Liter-Topcase ist. Das Topcase ist mit Rückenlehne für den Sozius ausgestattet; unter der Sitzbanknase findet man zwei kleine Kunststoffdorne, die man als Helmhaken für Helme mit Doppel-D-Verschluss verwenden kann; die Rückspiegel bieten perfekte Sicht nach hinten; vom Streben nach Funktionalität zeigt eine kleine Vertiefung, die bei geöffnetem Tank als Halter für den Tankverschluss dient; in der Vorderschürze gibt es links ein unversperrbares Handschuhfach – nicht allzu groß, aber für Mobiltelefon plus Zigarettenpackerl reicht es. Man müsste schon ein sehr großer Schelm sein, um von einem neuen Honda-SH-Modell eine radikale Roller-Revolution zu erwarten. Doch für gezielte Handgriffe an den richtigen Stellen bei jeder neuen Fahrzeuggeneration ist Honda seit je her bekannt. Die Prognose ist also nicht sehr riskant, dass der aufgefrischte neue SH300i die Erfolgsstory fortsetzen wird – quasi aus dem Handgelenk, sozusagen. INTERVIEW: DIE TECHNIK-CHEFS ÜBER DEN NEUEN HONDA SH300i In ihrer langjährigen Honda-Karriere haben Projektleiter Michio Atsuchi und Testdirektor Makoto Fukagawa bereits zahlreiche Roller entwickelt, darunter SW-T400/600, Forza 300, Wave 110, NSC50R, SH125i und PCX125 In den offiziellen Honda-Unterlagen sind die Angaben über die Änderungen am überarbeiteten SOHC-Vierventilmotor knapp, daher haben wir zur Information der „motomobil“-Leser die beiden Techniker direkt befragt. Das Ergebnis in der Zusammenfassung: Der Aufbau und die Materialien des SHi-Variomatikgetriebes sind unverändert, aber im zuvor liegenden Antriebsstrang gibt es zwei neue reibungsarme Wellenlager. Kurbelwelle, Zylinder und Kolben sind zum Vormodell gleich, die wichtigste Änderung ist die neue Nockenwelle mit optimierten Steuerzeiten und Ventilerhebungsprofilen. Dementsprechend gibt es ein neues Mapping der Einspritzelektronik, das auch zum neu konstruierten Auspuff mit geänderter Anordnung von Katalysator und Lambdasonde passt. Einen nennenswerten Beitrag zum geringeren Treibstoffverbrauch des 2015er-SH300i soll die LED-Lichtanlage (Scheinwerfer, Begrenzungslicht, Stereorücklicht) beitragen, die die Lichtmaschine (mit zehn Prozent geringerer Leistung) weniger belastet. Nur noch die Blinker haben konventionelle Glühbirnen.
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