NEUE KONZEPTE
HONDA NM4 VULTUS KOMMT IM JULI 2014Text: Michael Bernleitner Fotos: Honda RAUMPATROUILLE NEW MID FOURHondas erfolgreiche Modellfamilie mit Mittelklasse-Reihenzweizylinder und Doppelkupplungsgetriebe bekommt Besuch vom anderen SternJa, es ist eine Designstudie, ein Concept Bike. Und nein, es verschwindet nicht wieder in der Versenkung, sondern es steht voraussichtlich im Juli 2014 zum Preis von 12.990 Euro bei den Honda-Händlern. Der Honda-Beipacktext zur Landung der NM4 Vultus spricht davon, dass die mit der Kreation der NM4 Vultus betrauten Entwicklungsingenieure durchwegs im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sind, und dass es das Ziel war, deren Inspiration freien Lauf zu lassen. Hm. Die Vultus hätte durchaus in „Perry Rhodan“, in „Raumpatrouille Orion“ oder „Mondbasis Alpha 1“ mitspielen können, spätestens in „UFO“ hätte sie ein kontemporäres Dienstfahrzeug für Commander Straker abgegeben. Hondas Jugend hat sich also für ein Bike im Tarnkappenflugzeugdesign entschieden. Den Entwicklern wurde angeblich bei Konzept und Gestaltung der Vultus (lateinisch für „Gesicht“, „Miene“) vollkommene Freiheit eingeräumt. Vorausgesetzt, sie verwenden Chassis- und Antriebselemente des New Mid Concepts von Honda: Der Zweizylinder mit seinem automatischen Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe feiert im Integra und der NC-Baureihe derzeit große Erfolge. Genau das rückt eine mögliche Zielgruppe für die NM4 in den Scheinwerfer: Wer in der Mittelklasse möglichst viel Komfort, Trittbretter, hohen Wetterschutz und gleichzeitig die fortschrittlich-exquisite DCT-Technologie haben will, dem aber der Hybridroller-Auftritt des Integra 700/750 dann doch zu bieder und zu sittsam ist, für den kann das Stealth-Bike die ernsthafte Alternative sein. Aber auch umgekehrt könnte es funktionieren: Will man einen extravaganten Untersatz, der alle Blicke auf sich zieht, aber dennoch preislich im erklärbaren Rahmen bleibt – auch hier müsste die Vultus ins Kalkül. Jedenfalls stehen die Chancen gut, dass ihr mit deutlich höherer Praxistauglichkeit mehr Verkaufserfolg beschieden sein wird als der (leider unterbewerteten) Honda DN-01 vor einigen Jahren. Und falls doch nicht? Honda hat gut lachen: Während die DN-01 mit ihrem Lunapark-Design und dem hydraulischen Automatikgetriebe eine – für das Werk – kostspielige und kurzlebige Einzelerscheinung war, so hat sich die Integra-/NC-Plattform mit dem konsequenten Gleichteileprinzip sicher bereits amortisiert. Die Honda NM4 Vultus profitiert von der jüngsten Hubraumvergrößerung des liegend eingebauten Parallel-Twins auf 745 Kubik: Mit einer zweiten Balancerwelle ist er jetzt extrem kultiviert und macht durch den 270-Grad-Hubzapfenversatz trotzdem einen lebhaften, pulsierenden Eindruck. Eine neue, selbstlernende Software der Dual Clutch Transmission (DCT) unterstützt die maximal 40,3 kW (55 PS): Sie spart Schaltvorgänge bei gleichzeitig besserer Performance und ist laut Testberichten des 750er-Integra (die „motomobil“-Folge 015 ist aktuell in der Trafik) ein großer Wurf. Honda spricht von bester Handlichkeit der (vollgetankt) 245-Kilo-Maschine. Eine genaue fahrwerksgeometrische Betrachtung unter der avantgardistischen Haut zeigt hingegen, dass die Vultus ein gut getarnter, aber fast waschechter Chopper ist: 18-Zoll-Vorderrad und 200er-Hinterreifen; ewige 1645 Millimeter Radstand und flacher 57-Grad-Lenkkopfwinkel; dazu eine pygmäenhafte Sitzhöhe von 650 Millimeter und ein superbreiter Lenker, der rückwärtsversetzt wie bei einem Einachsschlepper montiert ist. Vom pragmatischen Integra ist das weit entfernt – die Vultus scheint tatsächlich das fliegende, aber wettergeschützte Sofa zu sein. Apropos Sofa – mit der freudigen Mitteilung, dass auf die clevere Idee eines als Rücklehne aufklappbaren Soziuskissens bis jetzt noch niemand gekommen ist, unterliegt der fleißige Honda-Pressetexter einem Irrtum: Erst in der jüngeren Zweiradgeschichte gab es das beim entschlafenen BMW Cruiser, und auch in der Elektrorollerszene kennt man es (iO King Kong). Unbestritten einzigartig sind jedoch die beiden Gepäckfächer im breiten Windverbau, die von vorne zu befüllen sind: Das Ein-Liter-Fach beherbergt ein 12-Volt-Outlet und ist abschließbar, das Drei-Liter-Fach öffnet sich per Knopfdruck. Keine Werksangaben gibt’s zu einem eventuellen Stauraum in der Tankattrappe (so wie in der NC) – die Vermutung liegt aber nahe, weil auch das Treibstoffbehältnis der NM4 im Sitzbankdreieck untergebracht ist. Weitere Möglichkeiten der Gepäckunterbringung eröffnen sich mit Zubehör-Taschen, die in ein alternatives Heck-Bodywork integriert werden. Neben den deutlich abweichenden Raddimensionen erhebt sich die Vultus mit ihrer stärkeren 43-Millimeter-Telegabel über die üblichen Normen der Modellfamilie, teilweise erklärt sich dadurch auch der höhere Kaufpreis. Da darf man die Farblichtspiele im Digitalcockpit gnädig zur Kenntnis nehmen. Je nach gewähltem Betriebsmodus des DCT leuchtet es blau, violett, rot oder neutral, und man darf sich als Hauptakteur und Lenker der erstaunlichen Science Fiction in Szene setzen.
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