E-BIKE-TEST
WIR FAHREN DIE MUGEN SHINDEN YONText: Alan Cathcart Fotos: Takuro Nagami FUNKENFLUGDass der Rennsport die Entwicklung von Serienfahrzeugen beschleunigt und verbessert, ist eine traditionsreiche Erkenntnis, die immer wieder bestätigt wird![]() ![]() Nachdem der italienische E-Superbike-Hersteller Energica (Test in Folge 017 und auf www.motomobil.at) nicht an Wettbewerben teilnimmt, lag es an der Honda-Tochterfirma Mugen, die mehrjährige US-Dominanz zu brechen: Die Mugen Shinden belegte bei den IoM-Tourist-Trophys 2014, 2015 und 2016 jeweils die ersten Ränge. Sieger 2014 und 2015 John McGuiness (2016 gewann Bruce Anstey) ist oberste fahrerische Instanz für einen TT-Erfolg – aber auch er braucht natürlich das bestmögliche E-Bike. Die Chance auf einen Ritt auf der momentan erfolgreichsten E-Rennmaschine kommt für mich an einem herrlichen Sonnentag am Honda-eigenen Racetrack in Motegi. Beim Aufsteigen merkt man noch nicht, dass elektrisch statt mit Benzin gearbeitet wird: Die Platzverhältnisse sind großzügig, fast sogar komfortabel. Um den Lenker zu erreichen hat man sich zu strecken, dafür ist man dann gleich in geduckter Position hinter der Verkleidungsscheibe. Nach dem Betätigen zweier Knöpfe an den Lenkerarmaturen sieht man am Cockpit-Display, wie das System hochfährt, los geht’s. Es gibt zwei Fahrmodi. In beiden wird von der ECU bei niedrigen Drehzahlen das Drehmoment reduziert – man kann also unbedenklich und ohne Angst vor Kontrollverlust den „Gasgriff“ öffnen. Sobald etwas Tempo da ist, wird die Kraft freigegeben – und man kommt in den Hochgenuss des berühmten horizontalen Drehmomentverlaufs, für das Elektromotoren bekannt sind. Die Gesamtperformance der 110 kW (150 PS) starken Shinden Yon entspricht ungefähr der einer guten Supersport-600er. Die Übersetzung ist lang ausgelegt (265 km/h Höchstgeschwindigkeit), und mit 250 Kilo ist das E-Bike nicht gerade ein Leichtgewicht. Der große Vorteil des elektrischen Pakets ohne Schaltstufen ist, dass man für Leistung keine hohe Drehzahl braucht – die turbinenhafte Beschleunigung ist immer und jederzeit abrufbar. Modus 2 besänftigt die Kraft und reduziert das Dehmoment, das ist auf nasser Fahrbahn und in engen Kurven sehr nützlich. Doch auch im Sportmodus 1 ist die Mugen viel fahrbarer und besser zu kontrollieren als die amerikanischen E-Racer, die ich bis jetzt testen konnte. Das Handling der Japanerin setzt neue Standards bei Elektromotorrädern. Die Nissin-Bremsen sind phänomenal, die hintere Bremse wird (so wie bei der KTM Freeride E oder bei Motorrollern) über einen Handhebel auf der linken Lenkerseite betätigt. John McGuiness muss das gefallen – an seinen Benzin-Hondas hat er immer eine Daumenbremse für das Hinterrad installiert. Man könnte sich noch wünschen, dass das Ausmaß der Energierückgewinnung und damit die Motorbremswirkung dem persönlichen Fahrstil angepasst werden kann. Der exquisit ausgeführte Kohlefaser-Twin-spar-Rahmen ist unbeirrbar stabil. Er beherbergt alle nötigen Bauteile wie den ölgekühlten 370-Volt-Motor (der bis 410 Volt „getunt“ werden kann), den flüssig gekühlten Controller und die luftgekühlten Hitachi/Maxell-Akkus. Im Cockpit gibt es vom Tacho über drei Temperaturkontrollen bis zur Prozentanzeige für Stromverbrauch und Restladestand die wesentlichen Infos. In Wechselkombinationen kann das Bike leicht, präzis und vorhersehbar umgelegt werden – wegen der Batterieanordnung hat es klarerweise einen hohen Schwerpunkt, fühlt sich aber nicht so toplastig an wie die US-Konkurrenz. John McGuiness meint, dass seine Siegesfahrt 2015 auf der Insel Man (mit immerhin 192 km/h Durchschnittstempo!) eine recht entspannte Angelegenheit war … Und auch eine lautlose: Unter den bisher getesteten E-Racern ist die Mugen am leisesten, dank der wirkungsvollen Verkleidung gibt es auch bei Topspeed kaum Fahrtwindgeräusche im Arai-Helm. Am hörbarsten ist noch das Geräusch der Hinterradkette. Kurz nach dem japanischen MotoGP ist die Piste von Motegi so eben wie ein Billardtisch und mit dem Straßenkurs der Isle of Man keinesfalls vergleichbar. So ist es klar, dass die mächtige Showa-Telegabel hier eine leichte Aufgabe hat, und die Fahrt auf der Mugen Shinden Yon das pure Vergnügen ist. Mit Suchtgefahr – es müsste toll sein, das E-Bike im wirklichen Leben auf eine kurvenreiche Landstraße auszuführen. Das muss keine Utopie bleiben – Mugen-Chef Tomoyuki Hashimoto erklärt, dass das Unternehmen tatsächlich daran arbeitet: „Wir prüfen derzeit alle Möglichkeiten, das Elektromotorrad in die Serienproduktion zu führen. Das wird mindestens noch zwei bis drei Jahre dauern, aber wir wollen sehr entschlossen einen Weg finden, die Technologie zu den Kunden zu bringen.“
Die Mugen Shinden ist das erste Elektromotorrad, das im Wettbewerb in die amerikanische Domäne der E-Superbikes eindrang. Die Tests der Mission R von Mission Motors, der MotoCzyscz E1pc und der Lightning LS-218 können jederzeit auf www.motomobil.at nachgelesen werden, auf Wunsch senden wir auch gerne PDF-Dokumente der Tests zu; Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann. ![]() ![]() ![]()
![]() Mugen ist die japanische Bezeichnung für Unendlichkeit. Mugen Motorsports wurde 1973 von Hirotoshi Honda, dem technisch hochbegabten Sohn des Honda-Gründers Soichiro Honda, ins Leben gerufen. Das Hauptgeschäft war und ist es, High-performance-Versionen von Honda-Automobilen für den japanischen Markt zu bauen. Von 1992 bis 2000 erzeugte Mugen einen V-10-Motor für verschiedene Formel-1-Rennställe, sechs Grand Prix wurden damit gewonnen. Im Tokio-Vorort Saitama ist Mugen Tür an Tür zur Honda-Motorrad-Rennabteilung HRC, und so wurden auch einige Racebikes konstruiert. Im Jahr 2010 war Hirotoshi Honda Besucher der IoM-Tourist-Trophy und beobachtete die erste TT Zero für E-Bikes. Zwei Jahre später hatte die erste Mugen Shinden („Gott der Elektrik“) ihr IoM-Debüt, Honda-Werksfahrer John McGuiness fuhr damit hinter der MotoCzysz auf den zweiten Platz. 2013 kam die stärkere Mugen Shinden Ni („Zwei“), McGuiness landete damit nur 1,6 Sekunden hinter Michael Rutters MotoCzysz. 2014 gab es wegen der schweren Erkrankung von Michael Czysz keine MotoCzysz mehr bei der TT Zero – die weiterentwickelte Shinden San („Drei“) belegte die ersten zwei Plätze. Die 2015 eingesetzte Shinden Yon („Vier“) hatte wieder mehr Motorleistung, aber auch zehn Kilo weniger Gewicht. Mit einem Durchschnittstempo von 119,279 Meilen pro Stunde konnte McGuiness die 120-mph-Schallmauer nicht brechen, auch 2016 hielt sie noch stand. Aus Mugen Motorsports wurde 2003 nach einer Meinungsverschiedenheit mit der japanischen Finanzbehörde die M-Tec Co. Ltd., das Unternehmen beschäftigt derzeit 200 Mitarbeiter.
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