E-BIKE-TEST
LIGHTNING LS-218 – DAS WELTSCHNELLSTE E-MOTORRADText: Alan Cathcart
Fotos: Kevin Wing STROM-MEILENSTEINVom derzeit schnellsten Elektromotorrad werden ab sofort 150 Exemplare pro Jahr hergestellt. Mit Alu-Monocoque und Carbon-Bodywork. Zu haben um 38.800 Dollar plus Steuern. Wir machen die Probefahrt!![]() ![]() Lightning-Gründer Richard Hatfield baut E-Sportbikes unter Verwendung von Lithium-Zellen länger als jeder andere in diesem Geschäft, und er ist in den verschiedensten Wettbewerben erfolgreicher als seine Rivalen – auch als Michael Czysz, der mit seiner MotoCzysz E1pc (Test in „motomobil“-Folge 011 und auf www.motomobil.at) vier Jahre lang das wichtigste E-Rennen, die TT Zero auf der Isle of Man, dominierte. Die Lightning LS-218 kommt mit über 150 kW (201 PS) Nennleistung aus einem ölgekühlten 380-Volt-Dreiphasenmotor und schreibt sich damit in den 200-PS-Hypersport-Club ein, in dem sich die neuesten Ausgaben der Aprilia RSV4, BMW S1000RR, Yamaha YZF-R1 und Ducati 1299 Panigale ein Stelldichein geben. Ganz zu schweigen von der kompressoraufgeladenen, nur für die Rennstrecke zugelassenen Kawasaki H2R mit ihren 310 PS. Genau hier kommen wir auch zum Kern der Angelegenheit: Kawasaki gibt für die H2R 156 Newtonmeter Drehmoment bei 12.500 Touren an – das ist noch ein hübsches Stück von den 228 Newtonmetern entfernt, die bei der Lightning ab der ersten Motorumdrehung da sind. Hat man auch nur ein bisschen Erfahrung mit Elektromotorrädern, kann man sich unschwer ausmalen, welche Dynamik beim Beschleunigen mit der LS-218 freigesetzt wird. Nachdem die – ebenfalls kalifornische – Mission R (Test in „motomobil“-Folge 009 und auf www.motomobil.at) trotz zweimaligen Anlaufs bis jetzt nicht in Serienproduktion ging, ist die Lightning LS-218 derzeit das einzige käufliche E-Superbike aus amerikanischer Produktion. In einem Marktsegment, das nach wie vor sehr klein ist, und in dem es weltweit bis jetzt sonst nur die italienische Energica Ego (Test in „motomobil“-Folge 017 und auf www.motomobil.at) gibt. Im Vergleich zum Preis der Kawasaki H2R sind die für die Lightning aufgerufenen 38.000 Dollar äußerst konkurrenzfähig – aber so ein Betrag spaziert natürlich nicht auf der Straße herum. Zur intensiven Probefahrt begeben wir uns auf die ikonische „Racer Road“ vor den Toren von Los Angeles: Auf den legendären Mulholland Highway, der sich durch die San Gabriel Mountains im Norden der Stadt bis zum nicht minder legendären Rock Store (dem beliebtesten Hangout der Locals) windet. Der in Frankreich arbeitende britische Designer Glynn Kerr hat mit der LS-218 brillante Arbeit abgeliefert, das Styling ist Haute Couture. Man findet zahlreiche schöne und edle Details, am auffälligsten davon das Arrangement von insgesamt acht Projektorscheinwerfern in der Verkleidung. Mit 813 Millimetern hat der fesche Corbin-Sattel eine vernünftige Sitzhöhe. Gleichzeitig ist es eine Orgie, die extrem gut zu kontrollieren ist. Die meisten High-Performance-E-Bikes bis jetzt reagieren auf das Öffnen des Gasgriffs recht brüsk. Das Ride-by-wire-System der Lightning ist über den flüssig gekühlten Controller so programmiert, dass man auf den ersten 50 Prozent des Drehgriffs nur 30 Prozent des Drehmoments aktivieren kann. Dann – und bei höheren Tempi – kommt progressiv immer mehr Drehmoment ins Spiel. Das lässt sich individuell programmieren, genauso wie das Einsetzen und das Ausmaß der Rekuperation, somit die über das Hinterrad gefühlte Motorbremswirkung durch Energierückgewinnung. Beim Zurücknehmen des Gasgriffs gibt es in der mittleren Stellung eine Art Coasting-Funktion, man segelt ohne Bremswirkung dahin. Bei geschlossenem Drehgriff ist die Rekuperation recht heftig, aber ohne das Hinterrad zum Stempeln zu bringen. Das alles lässt sich jedenfalls detailliert abstimmen. Nebenbei bemerkt, funktioniert die Brembo-Bremsanlage mit konventioneller Hand- und Fußhebelanordnung ganz ausgezeichnet. Dennoch würde man sich ABS wünschen, was aber für den Verkauf in Europa demnächst sowieso vorgeschrieben ist. Die meisten Bestellvormerkungen für die Lightning LS-218 kommen bis jetzt aus Amerika, dann aus Australien, England, Frankreich, Südafrika und dem Mittleren Osten. Im deutschsprachigen Raum ist das Motorrad bis jetzt noch nicht sehr bekannt. Der Kraftakt der Lightning ist nicht so völlig lautlos wie bei der MotoCzysz, aber auch nicht auffällig singend wie bei der Mission R mit ihrem Primärgetriebe – hochfrequentes Säuseln könnte man dazu sagen. Ein Motorrad mit dieser Performance stellt natürlich die ernsthafte Frage nach dem Fahrwerk und dem Handling. Die mit 12.000-Wattstunden-Akku (der kleinsten der drei angebotenen Optionen) 226 Kilo fahrbereit sind für Superbike-Verhältniss nicht überirdisch schwer. Man spürt aber den durch das Batterypack verursachten hohen Schwerpunkt – wenn man härter fahren will, muss man auch härter arbeiten. Obwohl bei der Lightning durch das Fehlen einer Kurbelwelle das gyroskopische Trägheitsmoment wegfällt, fährt man mit einer Aprilia RSV4 oder einer Ducati Panigale definitiv leichter durch enge Kehren und Wechselkombinationen. Das Handling ist nicht so intuitiv wie zum Beispiel das der MotoCzysz E1pc, dem mehrfachen TT-Zero-Siegermotorrad. Gewöhnungsbedürftig ist auch der sehr geringe Lenkeinschlag, der im Lauf der Modellpflege vergrößert werden soll. Batterietechnisch ist die Lightning am letzten Stand der Dinge: Zum Einsatz kommen flache Zellen aus koreanischer Fertigung mit LMNC-Technologie (Lithium-Mangan-Nickel-Kobaltoxid). Diese Bauweise hat höhere Energiedichte als die sonst in hochwertigen E-Fahrzeugen verbreiteten Lithium-Eisen-Phosphat-Akkus (LiFePO4). Nach Meinung von Fachleuten sollen LMNC-Akkus bis zur Verfügbarkeit der Lithium-Luft-Technik (zirka im Jahr 2030) die erste Wahl sein. Die flüssig gekühlte Regelelektronik und der ölgekühlte 380-Volt-Dreiphasenmotor sind Lightning-Eigenentwicklungen. Der Permanentmagnetmotor kann auch mit 410 Volt betrieben werden, dann gibt er sogar 170 kW (230 PS) Leistung her. Das Alugehäuse der Akkus ist gleichzeitig – ähnlich wie beim BMW-Elektroroller – die tragende Verbindung vom E-Motor, dessen Welle das Anriebsritzel trägt, zum Steuerkopf. Gegen Zuzahlung können Öhlins-Federelemente anstelle der RaceTech-Komponenten geordert werden. Serienmäßig ist das aufwändige Kohlefaser-Bodywork; statt Alu-Marchesinis kann man BST-Carbonfelgen bestellen. Von den ersten 150 Exemplaren der Lightning LS-218 sind etliche noch frei – nach Eintreffen der Anzahlung soll die Lieferzeit drei Monate betragen. Dann hat man einen Meilenstein der E-Bike-Geschichte.
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