E-BIKE-TEST
ZERO SR & ZERO DS, MODELL 2014Text: Alan Cathcart Fotos: Kevin Wing TWIST’N GODas Elektromotorrad wird einen steigenden Meeresspiegel nicht zum Rückzug zwingen. Aber es kann eine Riesenfreude machen![]() ![]() Noch vor vier Jahren war die Idee eines E-Bikes, das in der Stadt nach dem relevanten EPA-Zyklus eine Reichweite von 275 Kilometern hat (beziehungsweise 140 Kilometer auf der Autobahn), und das gleichzeitig nach CHAdeMO-Standard binnen einer Stunde von null auf 95 Prozent aufgeladen werden kann, eher absurd. Noch dazu, wenn das Bike eine Spitze von 164 Stundenkilometern macht und in der Beschleunigung aus dem Stand besser ist als fast alles andere, was Räder hat. Genau so etwas hat die nordkalifornische Firma Zero Motorcycles im November 2013 mit der Zero SR auf ihren Messestand der Mailänder EICMA gestellt. Mittlerweile können wir in „motomobil“ die ersten exklusiven Fahreindrücke berichten, und die SR ist in der neuen Zero-Fabrik in Scotts Valley in den Wäldern oberhalb von Santa Cruz bereits in Serienproduktion gegangen. Die Factory ist im Einschichtbetrieb auf eine Obergrenze von 10.000 Motorrädern jährlich ausgelegt. Die zunehmende Nachfrage nach den Zero-Bikes kann hier optimal befriedigt werden, gleichzeitig wurde für 2014 die Produktpalette gestrafft. Die puren Offroader fallen weg, es gibt nur noch Maschinen mit Straßenzulassung: Neben S, SR und DS ist die Enduro FX erhältlich. Und durch die neue Ökonomie der Verhältnisse, die durch steigende Verkäufe und durch ein fokussiertes Modellprogramm möglich wurde, sind die Zeros jetzt im Durchschnitt um 1000 Euro günstiger als im Vorjahr: Es geht los mit der Zero FX in schlanker Batterie-Konfiguration um 9780 Euro; die SR als Topmodell kostet mit dem großen 11.400-Wattstunden-Akku 16.990 Euro, eine zusätzliche „Power-Tank“-Erweiterung um 2800 Wattstunden gibt es um 2380 Euro. Die DS bekommt man ab 13.140 Euro. So viel Geld spaziert nicht auf der Straße herum. Die höheren Kaufpreise im Vergleich zu konventionellen Benzinbikes relativiert Zero mit dem Faktum, das die E-Bikes weitgehend wartungsfrei sind: Abgesehen von Reifen, Bremsbelägen und alle paar Jahre Bremsflüssigkeit brauchen die Maschinen keine Zuwendung, also keinen Werkstattbesuch. Der Austausch des Hinterradzahnriemens des Herstellers Gates wird nach 40.000 Kilometern empfohlen. Auch die Batteriesituation kann entspannt betrachtet werden: Für die 102-Volt-Akkus gibt Zero eine Lebensdauer von 2500 Ladezyklen an – umgelegt auf das Akkupack in der teuersten Konfiguration wären das 620.000 Stadtkilometer, somit weit mehr als die zu erwartende Lebensdauer des Motorrads. Als Fixzusage gibt es zwei Jahre Garantie auf den Antriebsstrang und fünf Jahre Garantie (oder 160.000 Kilometer) auf die Akkus. Eine überraschende Kostenexplosion durch einen vorzeitigen Akkutausch dürfte somit nicht zu erwarten sein. Eine Vollladung der SR (mit 11.400 Wattstunden Inhalt) hat Zero beim mitteleuropäischen Strompreis mit durchschnittlich 2,34 Euro errechnet. Die Höchstleistung des neuen Zero-Topmodells SR beträgt nun 50 kW (67 PS); über den gesamten Drehzahl- und Geschwindigkeitsbereich gibt es eine horizontale Drehmomentlinie von 144 Newtonmeter – das ist mehr, als die 2014er Fat Boy von Harley-Davidson abdrückt. Der neuerliche Performance-Zuwachs des Zero-Spitzenmodells wurde durch einen 660-Ampere-Controller Size Six von Sevcon möglich, der von Zero entwickelt wurde, aber in China hergestellt wird. Man kann es auch das „Apple-Syndrom“ nennen: Wie die Nachbarn hinter dem Hügel in Silicon Valley entwickelt Zero die Technologie mit einem Höchstmaß an Kreativität im eigenen Haus und lässt sie dann in Fernost produzieren, um auf eine halbwegs marktfähige Preiskalkulation zu kommen. Dasselbe gilt auch für den bürstenlosen Permanentmagnetmotor, der bei Zero vom kanadischen Entwickler Ryan Biffard konstruiert wurde und über den Umweg der in Wisconsin ansässigen Firma Motenergy in China erzeugt wird. Die Permanentmagnete sind am einzigen beweglichen Teil, dem Rotor, montiert, während die Wicklungen (die Komponenten, die am heißesten werden) an der Peripherie liegen. Ein Aluminiumgehäuse mit hohen, unregelmäßigen Finnen leitet die Wärme ab, ganz ohne Ventilator oder Flüssigkeitskühlung. Mit dem größeren Controller hat die SR um 56 Prozent mehr Drehmoment und um 24 Prozent mehr Leistung als die S und die DS. „Das Drehmoment steht in direktem Zusammenhang mit dem Strom, den wir in den Motor hineingeben“, sagt Zero-Technikchef Abe Askenazi. „Mit 660 statt 440 Ampere konnten wir es von 92 auf 144 Newtonmeter steigern.“ Resultat ist ein Sportmotorrad, das in atemberaubenden 3,5 Sekunden von null auf hundert beschleunigt. Unter Verwendung von 18650er-Lithium-Zellen von Farasis werden die Akkus im Zero-Werk zusammengebaut – wobei 85 Prozent der Zero-Käufer das Batterypack mit 11.400 Wattstunden Inhalt wählen, das im Vergleich zur günstigeren 8500-Wattstunden-Konfiguration natürlich ein angenehmes Plus an Reichweite bietet. Zudem gibt es den bereits erwähnten optionellen Power Tank, der von der Fachwerkstatt anstelle des Gepäckraums in die Tankattrappe montiert werden kann. Das Fahrzeuggewicht wird durch den Zusatzakku von 185 auf 205 Kilo erhöht. Mit dem im Motorrad eingebauten 1,3-kW-Ladegerät braucht der große Akku (ohne Power Tank) an der Haushaltssteckdose 7,4 Stunden, um zu 95 Prozent voll zu werden. Mit dem CHAdeMO-Zubehör – das ist derselbe Standard, den auch BMW im i3 und Nissan im Leaf verwendet – kann die Zeit an passenden öffentlichen Ladestationen auf eine Stunde verkürzt werden. Auch fahrwerksseitig profitiert die 2014er-Modellreihe von Verbesserungen. Der 2013 neu vorgestellte Twin-spar-Rahmen aus 6061-Flugzeugaluminium bleibt weitgehend unverändert, aber die Federkomponenten des taiwanesischen Herstellers Fastace sind deutlich aufgewertet: Die vordere Upside-down-Telegabel hat 43 statt 38 Millimeter Standrohrdurchmesser und kräftigere Gabelbrücken; das hintere Zentralfederbein wurde komplett überabeitet und ist jetzt voll abstimmbar. Ebenso auffällig ist das größere Cockpit-Display, das mit mehr und konkreteren Ladestands- und Reichweiteninfos aufwartet; auch eine Zeituhr ist nun an Bord. Über einen Schalter an der rechten Lenkerarmatur kann der Fahrmodus gewählt werden: Eco, Sport oder Custom. Das Custom-Profil kann mit der Zero-App auf einem iOS- oder Android-fähigen Mobiltelefon individuell festgelegt werden, diverse Parameter wie Drehmoment, Höchstgeschwindigkeit oder Bremsenergie-Rückgewinnung sind einstellbar. Kommuniziert wird über Bluetooth, das im Bike fix eingebaut ist. War bereits die Zero S 2013 ein Riesenfortschritt im Vergleich zur 2012er-Generation, so ist die SR eine weitere gewaltige Steigerung. Umgelegt auf Benzinwelt, würde ich sagen, der Unterschied ist wie beim Umstieg von einer Supersport-600er auf ein 1000-Kubik-Superbike. Also gehaltvoll. Der spürbare Zuwachs bei Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit ist nachdrücklich, wobei die 164-km/h-Spitze elektronisch limitiert ist. Das vom Stillstand weg ständig zur Verfügug stehende Drehmoment ist ziemlich unbeschreiblich, der Eindruck ist intensiv. Im Vergleich zu drehmomentschwächeren Zeros muss man die Fahrtechnik etwas ändern – aber niemand wird wohl so dumm sein, im Sportmodus aus dem Stillstand heraus „Vollgas“ zu geben, um eine unmittelbare Rückwärtsrolle einzuleiten … An der Ampel gibt’s nichts mit einem Auspuff, das die Zero SR schlagen kann. Insgesamt ist die Dosierbarkeit und die Abrufbarkeit der Leistung beeindruckend. Sogar langsames und gleichmäßiges Fahren im Schritttempo ist kinderleicht, mehr kann man sich von einem E-Bike nicht wünschen. Der Durchzug aus jedem Tempo ist enorm muskulös, und es war wohl eine gute Entscheidung, die Dimension des japanischen IRC-Hinterreifens auf eine 140er-Breite zu vergrößern, während bei der DS der bisherige taiwanesische, etwas lautstarke 130er-Kenda-Trailreifen bleibt. Grip-Probleme haben wir bei fünf Grad Außentemperatur nördlich von San Francisco rund um den Mount Tamalpais mit der SR jedenfalls nicht gehabt. Mit ein bisschen mehr Sattelhöhe ist die Sitzposition großzügiger als auf der Vorjahres-S, mit stärker geneigtem Oberkörper und Gewichtsverteilung nach vorn wird das Vorderrad jetzt noch besser für schnelles Kurvenfahren aufgeladen. Schon die bisherige 38er-USD-Gabel war gut sporttauglich. Die neue 43er mit ihrer massiven Klemmung gibt dem Motorrad ein sehr komplettes und professionelles Feeling – die große Verbesserung ist jedoch das Monoshock in der hinteren Cantilever-Federung (ohne progressiv wirkende Hebelübersetzung), das wirklich sensibel anspricht ist, Schläge wegsteckt und gut dämpft. Vor einem Jahr habe ich die für die S angegebenen 149 Millimeter Federweg nicht so richtig geglaubt, während ich jetzt die 161 Millimeter der SR jedem empfehlen kann. Die DS ist mit üppigen 179 Millimetern vorne und hinten noch komfortabler, wie ich auf einem Offroad-Ausflug zum Sonnenuntergang feststellen konnte. Die im Vorjahr eingeführte vordere Nissin-Doppelkolbenbremszange – zusammen mit der chinesischen GSK-Scheibe – hat die Kritik an der Bremsleistung der 2012er-Modelle bereits beantwortet. Einige Zero-Fahrer bemängelten noch die Hinterradbremse – auch hier reagiert Zero und bringt einen neuen spanischen J.Juan-Bremssattel. Zusätzlich kommt der Controller ins Spiel, der zwei verschiedene Rekuperationsmodi anbietet: Der erste wird aktiv, sobald man den Gasgriff zumacht – die Bremsenergie-Rückgewinnung simuliert Motorbremswirkung und verzögert, auch ohne Fußbremspedal. Weiters gibt es einen Sensor, der die Betätigung des Handbremshebels registriert und hinten per Rekuperation zusätzlich verzögert. Und schließlich kann über das Smartphone mit der Zero App das Ausmaß und die Bremswirkung der Rekuperationsmöglichkeiten individuell festgelegt werden. Über den ökologischen und wirtschaftlichen Sinn von Elektrofahrzeugen kann man ewig lange trefflich diskutieren. Vor einer Probefahrt mit einem der aktuellen 2014er E-Bikes von Zero muss man aber eine deutliche Warnung aussprechen: Es kann das Haushaltsbudget belasten und es kann süchtig machen.
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