E-BIKE-TEST
City-RUNDE MIT DER Zero S
Text: Michael Bernleitner Fotos: Torque Twister RING FREIDas erstaunliche kalifornische Pionier-Strombike nimmt uns mit auf eine Kaffeehausrunde durch die Wiener Innenstadt![]() Man muss mit einer Elektromaschine nicht in die Arbeit fahren und sich dort vom Chef den Strom schnorren. Oder zum Einkaufen. Lauter Vorurteile. Man kann sich auch dem gepflegten Müssiggang hingeben. Eine Reichweite von 80 Kilometer (im Optimalfall) reicht angenehm aus, doch auch mit vorsichtigen 50 Kilometern (die man immer schaffen sollte) kommt man vom Mittagssnack über die Kaffeejause bequem zum Abendmahl. Als man früher sagte „Ich fahr mit der Elektrischen“ war meistens die Wiener Stadtbahn oder die Tramway damit gemeint – doch die Zeiten haben sich gewandelt ...
Weil Zero vom ehemaligen NASA-Luftfahrttechniker Neil Saiki auf Grundlage seiner eigenen Kriterien gegründet wurde, stößt eine herkömmliche Motorrad-Sichtweise bald an ihre Genzen. Wichtiges Merkmal der Zeros ist zum Beispiel ihre weitgehende unkomplizierte Recycelbarkeit, so sind etwa die Akkus aller Modelle eine völlig schwermetallfreie Lithium-Ionen-Variante. Mit dem Wissen um die Zielsetzungen sollte man also auch das Kunststoff-Bodywork der Zero S betrachten, über das Mr. Saiki sicher keinen Jahrhundert-Designer gelassen hat – dafür kostet keines der Kunststoffteile (unlackiert) mehr als 25 oder 30 Euro, sollte man jemals Ersatz benötigen. Dass Motorräder manchmal auf die Erde geschmissen werden, weiß Saiki durchaus – er ist bekennender Fan der US-Stuntlegende Evel Knievel.
Bei der Sitzprobe auf der Zero S überrascht anfänglich die ziemlich zurückversetzte Anordnung der Fußrasten, die aber schließlich gut mit einer aktiven, vorderradorientierten Fahrerposition harmoniert. Nach kurzer Gewöhnungsphase ist die Maschine dann superhandlich, bei 123,8 Kilo Gesamtgewicht gibt es bei Richtungswechseln nicht den geringsten Widerstand. Ja, die Zero S ist ein Stadtflitzer, der mit seiner schlanken Silhouette auch die kleinsten Lücken im Verkehr ausnutzen kann. Lediglich der sehr knapp bemessene Lenkeinschlag trübt dieses Bild ein bisschen.
Unsere Kaffeehausrunde mit dem 2009er-Modell der S und ein paar Tage später eine Testfahrt mit der Version 2010 zeigen deutlich, welche heftigen Änderungen im Elektromotorradbau innerhalb kürzester Zeit am Programm stehen. Die Zero-Techniker haben nicht nur in den Motor, sondern auch tief in die Regelelektronik gegriffen: Beim Modell 2009 hat das weiche, ruckfreie Anfahren sehr gut gefallen (im Vergleich zum Offroader war bei der S die Power bis etwa 15 Stundenkilometer etwas zurückgenommen), dafür war schon bei 85 km/h Schluss. Zwischen 20 und 75 entsprach die Beschleunigung ungefähr der eines 300-Kubik-Benzin-Automatikrollers mit 16 kW (22 PS). Die 2010er-S reißt sich jetzt die Larve vom Gesicht: Sanftes Anfahren ist von gestern, aus ist’s mit dem Kaffeekränzchen. Eine kleine Gasgriffdrehung ist einmal gar nichts, dann scheint der Strom entfesselt und es gibt druckvolle Tempozulage bis zur erfreulichen, verkehrsgerechteren Spitze bei gemessenen 107 Stundenkilometern. Die 9 kW (12,2 PS) sind in der Praxis weit mächtiger als am Papier. Das Urteil ist klar: Wir würden uns eindeutig den Anfahrkomfort der 2009er-Version gepaart mit der 2010er-Kraft wünschen. Zum delikaten Umgang mit dem Gasgriff beim Wegfahren kommt der Eindruck, dass beim Gaswegnehmen aus der Vollgasstellung der Motor noch ein bis zwei Zehntelsekunden „nachschiebt“ – das Bauchgefühl gegenüber Fly-by-Wire-Systemen im Motorradserienbau wird dadurch nicht angenehmer. Offensichtlich ist ein Controller nie wirklich fertig, da gibt es immer etwas zu tun. Die Stabilität des Alu-Fahrwerks könnte noch deutlich mehr Motorleistung vertragen. Ganz unauffällig arbeiten die Zero-Federungskomponenten, in der Stadt werden Kanaldeckel und Flickwerk anstandslos gefiltert. Einen ebenso tauglichen Eindruck hinterlässt die Bremsanlage mit ihren schönen schwimmenden Scheiben im Wave-Design. Als Energievorratsanzeige im Cockpit gibt’s übrigens einen LED-Balken mit nebenstehendem Zapfsäulensymbol, sehr witzig. Wirklich fein an der Zero S ist, dass das Ladegerät bereits in die Bordelektrik eingebaut ist und dass man zum Energiefassen nicht mehr braucht als das Kabel und eine 220-Volt-Steckdose. „Herr Ober, einen Einspänner und etwas Saft, bitte ...
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