125er-TEST
HONDA WAVE 110iText & Fotos: A. Amoser BASISBEWEGUNGDie letzte Kurve vor dem Ziel – ich versuche mit allen Mitteln, die Angriffe der starken Werksteams abzuwehren …![]() Die letzte Kurve auf der Südautobahn vor Wien, bergauf neben der Shopping City Süd. Das rechte Auge fixiert den Tacho, das linke den Rückspiegel. Der Schriftzug „Volvo“ nimmt beängstigende Dimensionen an. Auf der anderen Seite steht „FH“, dazwischen ein Kühlergrill so groß wie der Eingang zur Eisriesenwelt. FH, das sind im besten Falle also 13 Liter Hubraum und 420 PS, im ungüstigen Fall 540 PS. Es kommt jetzt darauf an, jedes meiner 6,3 kW (8,5 PS) zu mobilisieren und das Drehmoment aus 109 Kubikzentimetern verlustfrei auf die Straße zu bringen. Die sich im wahrsten Sinne des Wortes auftürmenden Ereignisse im Rückspiegel werden von den Beobachtungen des rechten Auges dramatisiert: Die Tachoanzeige hat sich von guten 95 auf unter 90 Stundenkilometer zurückgezogen. Ist das die Steigung oder der schlürfende Sog aus dem Volvo-Grill? Dafür verstehe ich jetzt, warum das Team Volvo so knapp auffährt, ohne zu überholen: Auf der linken Spur rollt das Team Mercedes samt einer knappen Hundertschaft begeisterter Zuschauer wie ein Tsunami in einem Travego-Reisebus vorbei. Und begräbt meine Hoffnungen, in führender Position triumphal in die Bundeshauptstadt einzurollen. Man darf sich durch solche Kalamitäten nicht entmutigen lassen. Was weiß so ein 18-Tonner schon von der Essenz individueller Mobilität? Vier Gangstufen verteilen sich auf knappe 100 km/h, die automatische Fliehkraftkupplung ist einfach und funktionssicher zu handhaben, der Fahrkomfort überraschend gut. Stille, tiefe Freude erfüllt den Reiter ob der tadellosen Verarbeitungsqualität und des soliden, gut einschätzbaren Fahrverhaltens. Der neue Honda Wave 110i ist in jedem Fahrzustand wunderbar stabil und lässt sich dennoch wie ein Fahrrad um die Litfasssäule zirkeln. Die Sitzposition ist auch für groß gewachsene Fahrer entspannt und das Balancegefühl ist schon allein aufgrund des geringen Gewichts von knapp 100 Kilo (vollgetankt!) kaum zu überbieten. In Schräglage folgt der Wave stoisch und in wunderbarer Richtungsstabilität der gewünschten Linie. Dank des Schaltgetriebes kann man in engen Ecken bei Bedarf einen Lastwechsel aus dem Hut zaubern und das ohnehin schon perfekte Kontrollgefühl ins orgiastische steigern. Dabei wird man beim Ausdrehen der Gänge von einem Motorgeräusch angefeuert, das an den Fernsehsessel bei der Formel-1-Übertragung aus Monaco erinnert: Man hört raketenhafte Beschleunigung, allein, der Sessel bewegt sich nicht. Es geht trotzdem voran. Auf schaumgebremstem 125er-Niveau, das die gesetzlich erlaubte 11-kW-Grenze nicht auslotet. Der Tanz auf der Schaltwippe erfordert eine Kunstpause am Gasgriff, um harmonische Anschlüsse zu finden. Dafür wird man mit unerwartetem Durchzug und an der Ampel mit der Möglichkeit zum praktischen Direkt-Weiterschalten vom vierten auf den ersten Gang belohnt. Im leichten Verkehr mit geringer Ampeldichte erfährt man den Wave als Urgestein der Mobilität, als die großen Augen des Kindes, die in unstillbarer Neugier und Befriedigung den Hügel hinter dem Hügel erforschen wollen. Nirgendwo sonst und auch nicht am Fahrrad genießt man Landschaft und Umgebung facettenreicher, empfindet man mehr Freude an der schon längst verloren geglaubten Ursprünglichkeit maschinenbetriebener Fortbewegung. Weniger prosaisch gestaltet sich der Auftritt des Wave im Citygetümmel. Sobald sich die Blechschlange verdichtet, auftürmt und zur Seite schwappt, ist auf der Schaltwippe ein virtuoser Schuhplattler angesagt. Jeder Abbremser im Durchstich führt zu hektischer Gangsuche und wer sich im Getriebe verirrt, wird von den Flachbereiften gnadenlos gerichtet. So wie ich, als es wegen eines vorangegangenen Schaltfehlers zwischen Autobus und Parkstreifen zu eng wird und ich neben der Tür eines im Aussteigen begriffenen Fahrzeuglenkers zu stehen komme. Er hat die Türe schon einen Spalt geöffnet und mehr geht sich dank meiner zielgenauen Landung nicht aus. Er wartet ein paar Sekunden – aber wie es der Teufel will, klebt der Bus neben mir wie ein Kaugummi am Teppich. Der Mann im Auto wird ungehalten. Er öffnet das Fenster und überschüttet mich mit einem vorwurfsvollen Wortschwall, den ich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nur ungefähr wiedergeben kann: „Birakin beni, Dervişane bu ile Tayland Scooter!“ Ich will ihn irgendwie beruhigen und zitiere aus meinem leider nicht sehr umfangreichen türkischen Wortschatz: „Göztepe Izmir!“ Worauf er die Beherrschung zu verlieren scheint, wie ein Dschin aus der Flasche aus dem Fenster wächst und so laut „Galatasaray“ brüllt, dass es mir den Helm hebt. Mit zittrigen Händen nehme ich an der nächsten Tankstelle meine Wurstsemmel aus dem runden Staufach unter der Sitzbank und fülle den kleinen Rasenmähertank: 2,3 Liter auf 100 Kilometer bei rotglühendem Vollgas – was sagst du jetzt, Herr Volvo?
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