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DER „TOPPER“ – HARLEY-DAVIDSONS EINZIGER MOTORROLLERText: Prof. DI (FH) Fritz Ehn Fotos: Archiv Harley-Davidson, M. Bernleitner TOPPER STATT CHOPPERHarley-Davidson feiert 2018 den 115. Geburtstag. Weniger bekannt ist, dass die Company einst auch einen echten Roller baute. Wie es dazu kam und wohin es führte, steht in „motomobil“![]() ![]() Dann kommt das lange Schweigen bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Motorroller im eigentlichen und auch heute gebräuchlichen Sinne wirklich „erfunden“ wird. Nach den bekannten Produkten, ausgehend von Italien mit Vespa, Lambretta, Rumi und Co., erfasst ein grandioser Rollerboom den europäischen Kontinent. Die Gründe für den Megatrend sind die bekannten Tatsachen der eleganten Fortbewegung im „Stockerlsitz“ mit freiem Durchstieg, ohne den „anstößigen“ Reitsitz (vor allem für Damen im Rock) am Motorrad, der gute Schmutzschutz gegen den aufgewirbelten Straßendreck, die technische Unkompliziertheit und vor allem der günstige Preis in Anschaffung und Erhaltung. Aber mit dem beginnenden Autoboom (über den Umweg der peinlichen Kleinstautos, vom Kleinschnittger und Messerschmitt bis zum Goggomobil) – sind die Roller dann bald wieder passé. Der plausiblen und nachvollziehbaren Entwicklung des Rollers in Europa steht das Phänomen – besser gesagt die Narretei – eines Rollers der amerikanischen Schwereisenfabrik Harley-Davidson entgegen. Es hat allerdings einiges mit dem Engagement von Harley–Davidson in Europa zu tun. Denn im Jahr 1960 kauft der im Besitz der „American Machine Foundry“ stehende Motorradkonzern die kleine, feine italienische Motorradmanufaktur Aermacchi (Aeronautica Macchi S. p. A.) in Varese. Die kleinvolumigen Viertakter mit Hubräumen bis 350 Kubik und dem charakteristischen liegenden Einzylinder werden ab sofort unter der sperrigen Bezeichnung „Aermacchi Harley–Davidson“ vermarktet. Bei Privatrennfahrern sind die 250er- und 350er-Modelle „Ala d’Oro“ sehr begehrt und beliebt: Sie gehen teuflisch gut und sind durch die Nähe zur Serie von den Teilen her erschwinglich. Neben den klassischen Viertaktern baut Aermacchi HD auch Zweitakter von 50 Kubik aufwärts. In den folgenden 18 Jahren bleibt das Europa-Engagement von Harley aufrecht und beschert den Amerikanern mit Walter Villa in den Jahren 1974, 1975 und 1976 (250 und 350 Kubik) auch vier Weltmeistertitel in der Straßenweltmeisterschaft. ![]() Das Motorrad als technisch hochwertiges und sophistisches Fahrzeug ist für die breite Masse der Amis ungeeignet. Die sind längst von der Bequemlichkeit der Bedienung ihrer Automobile schaltentwöhnt. Also kommt nur ein ganz einfach zu bedienendes Gefährt – eben der Roller – in Frage. Beispielsweise hat das auch der Hersteller Cushman aus Nebraska, der seit 1903 (also ebensolange wie Harley-Davidson) im Motorengeschäft ist, erfasst: Nachdem er zunächst Wasserpumpen, Rasenmäher und Bootsmotoren baut, produziert Cushman schon ab 1936 Roller. Diese werden während der Kriegsjahre auch der Army verhökert, beispielsweise als fallschirmabwurftaugliches Gerät, besser bekannt als Cushman Airborne, ähnlich dem Corgy Scooter (siehe auch die Story in „motomobil“-Folge 002). Die normalen Cushmans finden bei der Armee als Melderfahrzeuge Verwendung. Die neuen „Step-through“-Modelle nach dem Krieg werden dann wegen des freien Durchstiegs und der (mit Automatikgetriebe) einfachen Bedienung rasch auch bei der weiblichen Kundschaft populär. Ab den 1950er-Jahren nimmt sich die amerikanische Großkaufhauskette Sears des Cushman an und vertreibt ihn unter der Marke Allstate (ebenso wie etliche europäische Motorräder und Roller, unter anderem Puch). ![]() Doch die Interpretation der in Europa gängigen „weiblichen“ Formen des Rollers, angeregt von Vespa und Lambretta, lässt den Gegenentwurf von Harley-Davidson mit seiner spröden, sachlichen Form am ehesten als Kiste auf Rädern erscheinen. Laut Werbekonzept ist der Topper „top in Beauty, top in Performance“, also Spitze in Schönheit und Spitze in der Leistung. Daher: Topper. Leider sieht die Kundschaft das nicht unbedingt genauso. Gestartet wird der im Jahr 1960 auf den Markt kommende Harley-Davidson-Roller per Seilzugstarter. Ein beherzter Zug am Seil vor der Sitzbank bringt den immerhin 165 Kubik (beziehungsweise zehn Kubikzoll) großen Zweitaktmotor zu polterndem Lauf. Wer einen Rasenmäher starten kann, kann auch Topper fahren, so lautet die Werbebotschaft aus Milwaukee für den neuen Roller. Dass die Käufer nicht unbedingt die eingefleischten Harley-Piloten sein würden, ist von Anfang an klar – es geht um die Erschließung neuer Märkte und neuer Kundschaft. Der junge Schauspieler James Garner wird auf den Topper gesetzt und vom Magazin „Motorcyclist“ porträtiert. Der Topper-Motor ist mit 60,3 Millimeter Bohrung und 57,9 Millimeter Hub als zeitgemäß-moderner kurzhubiger Zweitakter ausgeführt und leistet in der ungedrosselten Version rund 6,5 kW (knapp 9 PS). Die Kraft wird über eine automatische Fliehkraftkupplung, Riemenvariomatik und Kette als Sekundärtrieb aufs Hinterrad übertragen; das Stahlrohrfahrwerk hat vorne eine geschobene Zweiarm-Langschwinge und hinten ebenfalls eine Zweiarmschwinge. Der Motor ist in Gummi gelagert, um Vibrationen zu mildern. ![]() Doch infolge der allgemeinen Wirtschaftslage und wohl auch infolge der mangelnden – wie wir heute sagen würden – Corporate Identity mit Harley-Davidson (ebenso wie der anderweitigen Sorgen mit dem „italienischen Patienten“ in Europa) lassen die Verkaufszahlen rapid nach: Schon 1963 werden nur mehr 599 ungedrosselte und gar nur 19 gedrosselte Fahrzeuge abgesetzt. 1965 stellt Harley-Davidson das Topper-Abenteuer mit insgesamt zirka 7000 verkauften Scootern in knapp sechs Jahren ein und verlegt sich wieder auf das Kerngeschäft: Chopper statt Topper. |