LESEGESCHICHTE, FoLGE 6
EINE AMERIKANISCHE ROLLER-DYNASTIE – DIE FAMILIE KHATTERText: Andreas Amoser Illustrationen: Oskar Kubinecz NEUE WEGEDie fieberhafte Suche nach erneuerbarer Energie – und deren ständige Verwechslung mit dem Perpetuum Mobile – führt zu heftigen Verspannungen in Kalifornien![]() ![]() ![]() Burman, in der Zweiradszene besser bekannt als „der zornige Burgman“ (siehe auch „motomobil“ Folge 006), war über eine lange Serie leidvoller Erfahrungen zu seiner profitversprechenden Erleuchtung gelangt: Zuerst versiegten wegen der schlechten Wirtschaftslage die Verkäufe von Motorrädern. Dann schrumpften die Werkstattumsätze. Am Ende konnte man nicht einmal einen Ölfilter ohne Rabatt verkaufen. Der erhoffte Umsatz mit Rollern fiel nicht annähernd so grandios aus wie erhofft – entweder Amerika ist zu heiß, zu kalt oder zu weit für Roller. Nicht gut für den geborenen Verkäufer Suleiman, wenn einfach niemand da ist, dem er etwas verkaufen kann. Salz auf seine Wunden war – und ist – die bahnhofartige Betriebsamkeit bei Half-A-Hybrid, dem E-Rollerhandel in Calabasas, nicht allzuweit von seiner Suzuki-Niederlassung in Van Nuys. Und dann noch dieses fette Weib, diese ungläubige Schraubenziege, die ihn mit ihrer steinbefüllten Handtasche aus dem Cafehaus von Half-A-Hybrid geprügelt hatte … Was Suleiman allerdings bei seinen turbulenten Half-A-Hybrid-Besuchen übersehen hat, ist das allseits überraschende Faktum, daß dort ein guter Teil des Umsatzes mit ordinären 50er-, 125er-, 260er- und 400er-Benzinrollern gemacht wird. Billige, in Indien gefertigte Honda-Kopien, die sich unter dem Umwelt-Heiligenschein von Half-A-Hybrid erheblich besser versilbern lassen als andernorts. Ganz wie Bulwinder Khatter, der Chef von Half-A-Hybrid, nicht ohne Verwunderung feststellt: „Der Fahrzeugmarkt in Kalifornien funktioniert ähnlich wie ein Bioladen. Mit dem einzigen Unterschied, daß bei uns ein Aufkleber mit „umweltfreundlich“ und dort eines mit „organisch“ klebt.“ Der zornige Burgman kämpft unterdessen mit allen Mitteln um die Importzusage des geplanten Brennstoffzellen-Burgman. Suzuki Motors USA zeigt sich wenig hilfreich. Kein USA-Import in Sicht. Mehrmals hatte Suleiman das Suzuki-Hauptquartier in Brea heimgesucht, um zumindest zulassungstechnischen Rückhalt für einen eventuellen Eigenimport zu erhalten. Nichts, kein Interesse, nur freundliche japanische Gesichter. „Die Gelben sind durcheinandergesprungen wie mongolische Rennmäuse, als der Farbkopierer die Plastikpalme im Konferenzraum unter sich begrub“, erinnert sich Suleiman erbittert. Im folgenden Gerangel mit dem Wachdienst gingen bis zur Eingangstüre noch etliche Einrichtungsgegenstände zu Bruch. Als man den zornigen Burgman endlich aus dem Haus und die Stiegen hinunter geschafft hatte, ging die Türe noch einmal auf und ein freundliches japanisches Gesicht erschien: „Solly, Mistel Suleiman, no hydlogen scootel in Amelica!“ Die verweigerte große Chance mit dem Brennstoffzellen-Antrieb versetzt ihn in tiefste Depression. „O Prophet“, bittet er im Sattel seines Burgman 400 mit ABS, „weise dem Gläubigen den Weg!“ ![]() ![]() ![]() Vor den glänzenden Augen Suleimans breitet Larson Konstruktions-zeichnungen, Tabellen und ein offiziell registriertes Patent zur Energiegewinnung aus Wassermolekülen mit Hilfe elektrischer Resonanz aus. „Sobald wir in in Produktion gehen, ist Rohöl ein Ding für die Geschichtsbücher. Das ist die soziale und technische Zukunft der ganzen Welt. Wer jetzt auf diesen Zug aufspringt, dem gehört diese Welt,“ flötet Larson the Parson in die vibrierenden Ohren des zornigen Burgman. Der zieht hastig den nebenstehenden Tisch heran, um die überquellenden Papiermengen unter Kontrolle zu bringen. Ganz kann er die Tragweite der neuen Freienergie noch nicht erfassen. Seine Gedanken kreisen noch immer ![]() Suleiman ist sich – wie so oft – wieder einmal ganz sicher, daß er sich am richtigen Weg in den siebten Himmel des Profits befindet. Um aber den bösen Dschinn keine Gelegenheit zu geben, seinen kurz bevorstehenden Aufstieg zu behindern, überprüft er das von Larson präsentierte Patent auf seine Rechtmäßigkeit. Alles ist ordnungsgemäß eingetragen und behördlich abgesegnet. Ebenso ist die Hydrogen-Produktion von Larson fleckenfrei. Suleiman übersieht allerdings ein wesentliches Detail: Der Firmenmantel ist nur drei Jahre alt, während Larson von jahrzehntelanger Forschungstätigkeit spricht. Inzwischen macht man sich bei Half-A-Hybrid zunehmend Sorgen um die wirtschaftliche Tragfähigkeit von teuren E-Fahrzeugen und Grünenergie im allgemeinen. Es zeichnet sich ab, daß die groß angekündigte Plug-in-Infrastruktur ebenso wie Riesensubventionen für alternative Energien wirtschaftlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Die Windenergie fiel einem technischen Motorschaden zum Opfer, Wartungs- und Reparaturkosten übersteigen die Einspeisegewinne bei weitem. Photovoltaik geriet in schiefes Licht, als in Fachmedien über die in den Platten verbauten Giftstoffe diskutiert wurde. ![]() Bakshish, verantwortlich fürs Tagesgeschäft, schüttelt den Kopf: „Mit dem verfluchten Dollarkurs wird der Sol-2 zunehmend unleistbar. Nur noch reiche Spinner kaufen Roller um 14.000 Dollar, auch wenn sie fast umsonst fahren. Auch die alten Basis-Z-Com, die Raghubir zusammenkratzen konnte, liegen inzwischen bei knappen 9000 Dollar. Während der Kerl, der die Vectrix-Restbestände zusammengekauft hat, die Dinger um 4000 Dollar verscherbelt. Mehr sind die Kunden nicht zu zahlen bereit. Wenn die Subventionen auf diese Fahrzeuge wegfallen oder eingeschränkt werden, ist das Zeug schlicht unverkäuflich. Dafür verkaufen wir unsere mit Aufkleber „umweltoptimierten“ Benzinroller wie warme Semmeln.“ Bulwinder bringt die Sache auf den Punkt: „Ohne Hi-tec-Hybrid im Schauraum wären die Benzinrollerverkäufe nicht halb so gut. Auch wenn uns der Wechselkurs oder die Produktionskosten davonlaufen, muss Half-A-Hybrid immer die fortschrittlichste Antriebstechnik, die sich gerade realisieren lässt, anbieten!“ Wie immer schließt Bulwinder seine Rede mit einem moralischen Appell: „Der sechste Guru Hargobind befand sich in Gefangenschaft des Moguls Jahangir. Nach seiner Befreiung kehrte er nach Amritsar zurück, wo er am Tag von Diwali eintraf. Lasst uns Lichter entzünden und rechtens handeln!“ Diesen Bericht als E-Paper downloaden
![]() In der nächsten „motomobil“-Folge: schwere Explosion im San Fernando Valley – Terroranschlag oder alternative Energie? Die neuesten Energie-Verschwörungstheorien, Suleiman bewirbt sich bei Half-A-Hybrid um einen Job; E-Auflauf am Sunset Boulevard … … Ab 22. Februar in der Trafik und sechs Wochen später auf www.motomobil.at |