ROLLER-FEATURE
BRIGHTON BURN UP 2011 & 2012Text: Uli Brée
Fotos: Klaus Pieber, Katja Ruge (1) FISH & CHIPS & PEACEWie das wohl ist, wenn die wilden Zeiten vorbei sind? Wenn Randalierer eines Tages gute Weine sammeln, wenn der Parka durch Karohemd und Tweedsakko ersetzt wird …![]() ![]() Der geneigte Leser gestatte mir, dass ich ein wenig aushole: Im Frühjahr war ich in der Toskana Motorrad fahren. Mit einem klassischen Cafe Racer. Ein Gerät, wie es Mitte der 1960er-Jahre die Rockers in Großbritannien gefahren sind. Vor dem Hotel kommt ein freundlicher Herr aus England mit mir ins Gespräch. Cordhose, Tweedsakko, kleiner Bauch und Glatze. Er fragt höflich, ob er sich zu mir setzen darf. Und so sitzen wir beide draußen am Parkplatz auf einem kleinen Mauervorsprung, mit Blick auf meine Triumph Bonneville. Der alte Herr wirkt neugierig, hochinteressiert und möchte unbedingt erfahren, warum ich denn genau solche Maschinen bevorzuge. Irgendwann, nachdem ich ihm von meiner Liebe zu englischen Motorrädern erzählt habe, rückt er mit seiner Geschichte heraus. So, als hätte er sich zuvor vergewissern müssen, ob sein Gesprächspartner auch auf der richtigen Seite steht … Der nette Herr war in Brighton am 18. Mai 1964 an der unrühmlichen Massenschlägerei zwischen Rockers und Mods beteiligt. Gemeinsam mit tausend anderen Jugendlichen. John war Mod und hat sich dort mit den Rockers angelegt. Viele von ihnen mussten ins Krankenhaus – und der Tag läutete für beide Jugendbewegungen das Ende ein. Wir alle kennen von „The Who“ die Schallplatte und den Film „Quadrophenia“ über diese Zeit. Mods, das sind die Typen in den Parkas mit den komischen Frisuren und den kostümierten Vespas und Lambrettas mit den tausend Spiegeln und Hupen. Und überall die Aufnäher der Royal Airforce – dem sogenannten Mod Target. John erzählt mir vom Ursprung seiner Bewegung. „Damals in den 1950ern hat alles begonnen. Jugendliche aus der working class und der lower middle class versuchten die eigene Herkunft durch ihre aufwändige und teure Kleidung zu vertuschen.“ John war ebenfalls Arbeiterkind. Genau aus diesem Grund trug er maßgeschneidete Anzüge und Markenkleidung, die er sich vom Mund absparte. Weil das Geld begrenzt und der Schein nur äußerlich war, musste man natürlich die wenigen guten Kleidungsstücke schützen.
John muss lachen. „Aus der Not heraus entstand eigentlich erst das typische Merkmal der Mods: Die weiten Parkas dienten in erster Linie dazu, unsere teure Kleidung vor Wind und Wetter zu schützen. Und das war auch dringend notwendig. Nicht nur weil das englische Wetter sehr wechselhaft sein kann, sondern weil wir hauptsächlich mit unseren Rollern unterwegs waren.“ Die Roller waren mit ihren speziellen Umbauten für viele Mods ein essenzieller Bestandteil der Identifikation und der Abgrenzung zu anderen Jugendbewegungen. Die Scooter wurden gehütet und customized. An jedem Wochenende gab es große Ausfahrten mit der ganzen Clique, die teilweise aus bis zu zweihundert Personen bestand. Bevorzugtes Ziel war das südenglische Seebad Brighton mit seinem Electric Ballroom, einem zentralen Treffpunkt. Dort trafen die Mods auf ihre Erzfeinde, die Rockers. Die fuhren Cafe Racer, Motorräder mit Höckersitzbank und Stummellenker. Die Rockers mit ihren Lederjacken waren genau das Gegenteil der Mods.
Und heute? Jedes Jahr im September findet seit 1996 das legendäre Brighton Burn Up statt. Eine Art friedliche Reunion zwischen Mods und Rockers, initiiert von Marc Wilsmore, dem Besitzer des Londoner Ace Cafe. Ich war bereits einmal vor zwei oder drei Jahren am Madeira Drive, der Uferpromenade in Brighton, hatte den Rollern aber nicht wirklich viel Aufmerksamkeit geschenkt. 2011 wollte ich wieder hin – und nach meiner zufälligen Begegnung mit John war ich neugierig geworden. Bisher hatten mich vor allem die vielen alten Cafe Racer interessiert, mit denen man vom Ace Cafe in London am Sonntagvormittag nach Brighton aufbricht. Bis zu 80.000 Motorräder und Roller treffen dort für ein paar Stunden aufeinander. Diesmal allerdings völlig friedlich. In den frühen 1960ern wäre das undenkbar gewesen. Die Underdogs, die keine sein wollten, und die Underdogs, die unbedingt welche sein wollten, lieferten sich am Madeira Drive regelmäßig Straßenkämpfe – bis eben zu jenem 18. Mai 1964.
Und ich stehe da und denke mir: Wie sehen all diese Leute wohl am Montag aus? Wenn all das hier wieder vorbei ist? Hängen sie dann ihre grünen Parkas und ihre schwarzen Lederjacken für ein Jahr in den Schrank? Sind sie dann wieder Versicherungsvertreter oder Pensionisten, so wie John? Keine Ahnung. Für einige von ihnen ist es sicher eine Lebenseinstellung, für andere ist dieses zweite Wochenende im September nur eine Reminiszenz an die Vergangenheit. Was besser ist, wage ich nicht zu beurteilen. Der Brighton Burn Up ist auf jeden Fall eine Reise wert. Nicht nur wegen der tollen Motorräder und Roller. Sondern wegen der Gesichter, den Menschen und den Geschichten, die sich dahinter verbergen.Heute sieht man Johns ehemalige Kumpel auf ihren tollen Rollern am Madeira Drive friedlich promenieren. Im Partnerlook mit der Ehefrau oder mit dem Sohn und den Enkeln auf den liebevoll restaurierten Scootern. Ein anderer präsentiert stolz den echten Roller, der wirklich und tatsächlich in „Quadrophenia“ mitgefahren ist. Die Szene lebt und erfreut sich an den Schmuckstücken. Die Zeit heilt und heiligt wohl tatsächlich Wunden. Die Mods von damals wirken gesetzt. Als hätten sie den inneren Kampf durchaus gewonnen und sich von der Arbeiterklasse befreit. Die Rockers in ihren von Patches übersäten Lewis-Lederjacken hingegen wirken zum Teil noch immer so wie damals. Nur, dass die Tattoos in Falten hängen, die Haarlocken grau und das Fleisch um die Hüften mehr geworden ist. Die Inside-Geschichte von „motomobil“-Autor Guido Schwarz über die Wiener Mods lesen Sie in der "motomobil"-Folge 006 auf den Seiten 96 bis 97!
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